Auszüge aus

An Dich

von Sawaki Kōdō Rōshi
Übersetzt aus dem Japanischen von Muhō.

Muho

1. An dich, dem die Augen der anderen keine Ruhe lassen

Du kannst nicht einmal einen Furz mit deinem Nächsten austauschen. Jeder einzelne von uns muss sein eigenes Leben leben. Dabei brauchen wir uns keine Gedanken darüber zu machen, wer von uns der Fähigste ist.

Oi, was glotzt du in die Gegend!? Merkst du nicht, dass es hier um dich selbst geht?

Das Arschloch braucht sich nicht dafür zu schämen, das Arschloch zu sein. Die Füße haben keinen Grund, in den Streik zu treten, nur weil sie bloß Füße sind. Der Kopf ist nicht der Allerwichtigste. Und der Nabel braucht sich nicht einzubilden, der Vater aller Dinge zu sein. Da ist es komisch, dass die Leute den Herrn Premierminister für etwas ganz besonders Wichtiges halten. Denn die Nase kann die Augen so wenig ersetzen, wie der Mund für die Ohren einstehen kann. Alles hat seine eigene Identität, die unübertrefflich ist im ganzen Universum.

Die Kinder haben eine Maus gefangen: Jetzt zappelt sie in der Falle. Die Kinder haben ihren Spaß daran, zu beobachten, wie sie sich die Nase blutig reibt und den Schwanz zerreißt. Am Ende wird sie dann der Katze zum Fraß vorgeworfen. Wenn ich an der Stelle der Maus in der Falle säße, würde ich mir sagen: „Ihr verdammten Menschen werdet keinen Spaß an mir haben!“ – und würde einfach in Zazen sitzen.

2. An dich, der du dir etwas darauf einbildest, ganz im Trend zu liegen

Ständig hängst du dich an die anderen an. Isst einer Pommes, willst du auch deine Pommes. Lutscht einer ein Bonbon, willst du auch ein Bonbon lutschen. Bläst einer auf einer Pimmelflöte, schreist du: „Mama, kauf mir auch eine Pimmelflöte!“ Und das gilt nicht nur für die Kinder.

Der Mensch macht ein kluges Gesicht und redet davon, Herr auf Erden zu sein. Dabei weiß er noch nicht einmal, was er mit dem eigenen Körper anfangen soll: Er schaut Sport im Fernsehen und redet sich damit heraus, dass alle anderen das auch tun.

Du lebst im Gruppenwahn. Und verwechselst dabei den Wahn mit echter Erfahrung. Es ist notwendig, dass du dir selbst durchsichtig wirst und aus dem Wahn aufwachst. Zazen bedeutet, dich von der Gruppe zu verabschieden und mit den eigenen Beinen zu gehen.

Allein sind die Menschen noch annehmbar, doch wenn sie Cliquen bilden, fangen sie an, zu verblöden. Sie verfallen dem Gruppenwahn. Sie sind so sehr darauf aus, in Gruppen zu verblöden, dass sie dafür extra Vereine gründen und Mitgliedsbeiträge bezahlen. Zazen bedeutet, sich vom Gruppenwahn zu verabschieden.

3. An dich, der du vollkommen fertig bist vom Ehekrach

Die Frage ist nicht, wer von euch Recht hat. Ihr seht die Dinge einfach in verschiedenen Rahmen.

Hör auf zu sein, während du so bleibst, wie du bist: Feuerpause. Sitz einfach!

Es beginnt damit, dass du „ich“ sagst: Alles, was danach kommt, ist Illusion.

Alle stellen sich vor, dass ihr „Ich“ etwas unveränderliches sei. Kurz: Der unbewegliche Mittelpunkt, um den sich alles dreht. Es gab da einmal einen Mann, der sagte: „Seht nur, alles stirbt, bloß ich nicht!“ Inzwischen ist er selbst längst tot.

Alles redet von Liebeshochzeiten, aber ist das nicht eine ziemliche Gefühlsduselei? Geht es nicht letztlich doch nur um Penis und Vagina? Warum sagt bloß keiner, dass er sich in eine Vagina verliebt hat?

Schau dir mal das Gesicht eines Köters an, der sich gerade gepaart hat. Mit seltsam leeren Augen blickt er verloren in die Gegend. Genauso ist es auch beim Menschen: Erst macht er sich selbst ganz verrückt, und am Ende ist gar nichts dabei.

Ein Mann, der nichts versteht, heiratet eine Frau, die nichts versteht, und alles sagt: „Herzlichen Glückwunsch!“ Das kann ich nun nicht verstehen.

Familie bedeutet den Ort, wo sich Eltern und Kinder, Mann und Frau gegenseitig auf den Geist gehen.

Wenn ein Kind trotzig ist, schimpfen die Eltern: „Du verstehst aber auch überhaupt nichts!“ Doch wie ist es eigentlich mit den Eltern? Verstehen die denn überhaupt etwas? Alles steckt tief in der Finsternis.

Die Menschen reden von Erziehung, doch wozu werden wir eigentlich erzogen?
Zu Normalbürgern, das ist alles.

Lustiger noch, als sich die Affen im Zoo anzugucken, ist es, die freilaufenden Menschen zu betrachten.

4. An dich, der du plötzlich damit anfängst, über das Leben nachzugrübeln

Was für eine Schande, als Mensch geboren worden zu sein und sich sein Lebtag nur Sorgen zu machen. Du musst an den Punkt kommen, an dem du dich darüber freust, als Mensch geboren worden zu sein.

Realität: Unser Ziel muss sein, sie wirklich in den Griff zu bekommen. Wir dürfen nicht bei Begriffen davon stehen bleiben.

Seltsam, dass kein Mensch in der Welt ernsthaft über sein eigenes Leben nachdenkt. Seit ewigen Vergangenheiten tragen wir etwas in uns herum, das noch unausgekocht ist. Doch wir beruhigen uns damit, dass es den anderen genauso geht: Das nenne ich den „Gruppenwahn“. Wir glauben, wir müssten nur so sein, wie die anderen auch sind. Satori bedeutet, sein Leben selbst zu gestalten. Es bedeutet, aus dem Gruppenwahn aufzuwachen.

In einem Teil der Mandschurei wurden die Wagen von großen Hunden gezogen. Dabei ließ der Kutscher ein Stück Fleisch von einer Angelschnur vor der Nase des Hundes baumeln. Der Hund rennt und rennt in dem Versuch, sich das Fleisch zu schnappen, doch er kommt nicht dran. Erst wenn der Wagen am Ziel angelangt ist, bekommt der Hund das Fleisch vorgeworfen: Mit einem Biss schlingt er es herunter. Genauso geht es dem Menschen mit der Lohntüte: Bis zum 27. oder 28. rennt er der Lohntüte nach, die man ihm vor die Nase hält. Wird ihm sein Lohn ausgezahlt, verschluckt er ihn mit einem Bissen. Und rennt schon dem nächsten Zahltag nach…

5. An dich, dem es im Leben um Geld, Geld und nochmals Geld geht

Der Wertmaßstab des Menschen: Du gibst ihm etwas Geld und gleich fängt er an zu springen.

Du glaubst, es sei etwas Besonderes, sich Luxus zu gönnen? Ich kann nicht verstehen, warum alle Welt die Reichen beneidet.

Manche kommen sich wichtig vor, weil sie Geld haben. Andere kommen sich wichtig vor, weil sie „Satori“ haben. Doch so sehr du deinen persönlichen Fleischsack auch aufblähst, du wirst nur zu einem Teufel. Das, was nicht dir persönlich gehört, ist das gesamte Universum. Dort, wo die persönlichen Gedanken zu ihrem Ende kommen, beginnt der Buddhadharma.

In der Welt geht es stets um Gewinn oder Verlust, Plus oder Minus. Doch im Zazen geht es um nichts. Es bringt nichts! Deshalb ist es die größte und umfassendeste Sache, die es gibt.
„Die Blumen, die den Himmel meines Herzens schmücken – ich biete sie den Buddhas in den drei Welten dar“ (Dōgen Zenji)

6. An dich, der du den Herrn Premierminister für etwas ganz Besonderes hältst

Wer nach seiner wahren Aufgabe sucht, der wird nicht Karriere machen wollen. Wem es darum geht, Minister zu werden, dem fehlt es an der Lebensanschauung.

Abgeordnete und Minister ziehen in den Wahlkampf, um um Stimmen zu werben. So sehr sind sie darauf aus, gewählt zu werden – die Idioten! Selbst wenn man mich darum bitten würde, Minister zu werden, würde ich ablehnen: „Für wie dumm haltet ihr mich eigentlich?“

Der Premierminister hat die Wahl verloren: Jetzt heult er. Beim nächsten Mal gewinnt er wieder: Da lacht er in die Kamera. Was unterscheidet die Politiker eigentlich von Kleinkindern? Das ist ja genauso wie mit einem weinenden Kind, dem du ein Bonbon hinstreckst, und schon hat es ein Lachen auf dem verrotzten Gesicht! Ein bisschen mehr Reife wäre schon ganz gut.

Wer sich auf seinen Lebenslauf beruft, ist ein Versager.

Früher gab es einmal einen Größenwahnsinnigen im Krankenhaus von Sugamo, der sich „Ashiwara Shōgun“ nannte. Er hängte sich einen Orden aus Pappe um den Hals und gab denen, die ihm begegneten, würdevolle Worte mit auf den Weg. Jetzt, da der Krieg vorbei ist, sehen wir klar, dass das, was die Militärs getrieben haben, sich kein bisschen davon unterscheidet. Und nun wollen sie schon wieder Orden einführen…

Nach dem Sieg im Japanisch-Russischen Krieg glaubten wir, Kolonien gewonnen zu haben. Doch was ist daraus geworden? Nach der Niederlage im zweiten Weltkrieg haben wir festgestellt, dass wir uns nur den Zorn der Russen eingebrockt hatten.

Alles redet von Treue zum Vaterland, die Frage ist nur, in welche Richtung das führt. Auch ich bin vollen Ernstes in den Japanisch-Russischen Krieg gezogen, doch nach der Niederlage in diesem Krieg sehe ich ein, dass wir das, was wir da getan haben, besser seingelassen hätten. Überhaupt ist es besser, von vornherein keine Kriege zu führen.

7. An dich, der du deine Rivalen in den Schatten stellen möchtest

Wir fragen uns oft, wer der Bessere ist. Sind wir denn nicht alle aus dem selben Lehmklumpen gemacht?

Alle Menschen sollten besser festverankert an dem Ort sitzen, an dem es keine „Besseren“ und „Schlechteren“ gibt.

Das ganze Leben über bist du ganz aus dem Häuschen, weil du es für selbstverständlich hältst, dass es „dich“ und „die anderen“ gibt: Du trägst dick auf, um aus der Menge herauszuragen. Doch in Wirklichkeit gibt es weder „dich“ noch „die anderen“. Aber das wirst du erst verstehen, wenn du stirbst.

Im Westen heißt es, dass der Mensch des Menschen Wolf sei. Der erste Schritt unserer Religion muss darin bestehen, dass die Wölfe aufhören, aufeinander einzubeißen.

Im Buddhadharma geht es nicht um Sieg oder Niederlage, Liebe oder Hass.

Manche Kerle tun sich hervor mit ihrem „Satori“. Dabei ist es doch klar, dass etwas, womit du dich hervortun kannst, nichts mit Satori zu tun hat.

8. An dich, der du heulst, weil man dich übers Ohr gehauen hat

Wir müssen uns einmal selbst ins Ohr kneifen und genau fragen: Lohnt es sich überhaupt, ganz aus dem Häuschen zu sein vor Freude und Leid, ganz aufgeregt über den persöhnlichen Gewinn oder Verlust?

Irgendwann fangen alle an, nur noch an sich selbst zu denken: „Das war gut!“ Was war gut? Es war nur gut für dich persönlich, das ist alles.

Buddhismus bedeutet „kein Ich“ und „nichts zu gewinnen“. Du musst eins mit dem Universum und allem Lebenden sein.

Alles Lebende irrt sich: Wir halten für Glück, was Unglück bedeutet, und weinen über das Unglück, das gar keines ist. Wir alle kennen das Kind, dessen Tränen plötzlich einem Lachen weichen, wenn man ihm einen Keks hinstreckt. Was wir Menschen Glück nennen, ist nicht mehr als diese Freude über einen Keks.

9. An dich, der du deinem Chef am Liebsten dein Kündigungsschreiben um die Ohren hauen möchtest

Unter den menschlichen Tätigkeiten sind die am wichtigsten, die sich kein zweites Mal wiederholen lassen. Was sich wiederholen lässt, überlasse lieber den Robotern.

Das Leben verläuft nicht auf Schienen.

Leben wir das Leben nicht von Augenblick zu Augenblick? Wie könnten wir da versuchen, das Leben zu analysieren, systematisieren und in Schubladen zu verstauen?

Soviel du in diesem Leben auch bewerkstelligst, du kannst nichts davon vor dem letzten Gericht präsentieren: Du stirbst nackt.

Letztendlich bleibt dir nichts anderes übrig, als loszulassen.

Versteht es sich nicht von selbst, dass das größte Glück darin besteht, das zu tun, was du tun musst?

Auf nichts ist Verlass. Der Wert der Dinge ändert sich. Diese Einsicht bewegte Shakyamuni, auf den Königstitel zu verzichten, seine Frau und seinen Sohn zu verlassen und Mönch zu werden.

10. An dich, der du mit Zazen anfangen willst

Es gab einmal 500 Affen, die 500 buddhistischen Heiligen zu Diensten waren. Eines Tages beschlossen die Affen, den Heiligen alles nachzumachen: Sie praktizierten Zazen, mit dem selben Ausdruck in Augen, Nase, Mund und dem ganzen Körper. Es heißt, dass auf diese Weise tausend Heilige gemeinsam Zazen praktiziert und Satori verwirklicht haben. Deshalb habe ich es mir vorgenommen, das Saatgut des Zazen zu bewahren – und sei es durch Nachahmung.

Wenn du Zen praktizierst, geht es um dich selbst, hier und jetzt. Zen darf nicht zu einem Gerücht werden, das mit dir nichts zu tun hat.

Zazen ist ein Buddha, den wir aus unserem rohen Fleisch formen.

Zazen bedeutet, in die Praxis umzusetzen, was sich mit Gedanken nicht denken lässt.

Zazen ist der Dharma-Schalter, mit dem du das gesamte Universum anknippst.

Etwas „einfach“ zu tun bedeutet, es jetzt auf der Stelle zu tun. Es bedeutet, nicht die Zeit deines Lebens zu verschwenden.

Wenn man mich fragt, was Zazen bringt, sage ich, dass Zazen überhaupt nichts bringt. Und dann machen manche ein langes Gesicht und sagen, dass sie lieber mit Zazen aufhören wollen. Doch was bringt es uns eigentlich, Tag ein Tag aus herumzuhetzen auf der Suche nach Befriedigung? Was bringt uns das Glücksspiel? Und was das Tanzen? Was bringt es uns, uns über Sieg oder Niederlage beim Baseball aufzuregen? Es bringt überhaupt nichts! Deshalb ist nichts so konsequent wie das schweigende Sitzen in Zazen. Dass etwas nichts „bringt“, bedeutet in der Welt doch meist nur, dass es kein Geld einbringt.

Oft fragen mich Leute, wieviele Jahre sie denn nun Zazen üben müssen, bis es Resultate zeigt. Zazen hat keine Resultate. Von Zazen hast du überhaupt nichts.

11. An dich, der du mit Zazen dein Hara stärken willst

Manche meinen: „Durch Zazen stärkst du dein Hara (Gegend unterhalb des Nabels)!“ Zu erkennen, dass dieses „Hara“ in Wirklichkeit scheißegal ist, bedeutet wirkliches Hara, bedeutet Zazen.

Wenn da auch nur einen Rest von deinen Privatangelegenheiten im Spiel ist, ist das nicht reines, unvermischtes Zazen. Du musst reines, unvermischtes Zazen üben, ohne es mit Gesundheitstraining oder Satori oder dergleichen zu vermischen. Wenn du auch nur im Geringsten deine persönlichen Anschauungen hereinträgst, ist da kein Buddhadharma mehr.

Buddhismus bedeutet einfach gesagt: „Kein Ich“. „Kein Ich“ bedeutet, dass „ich“ kein individuelles Subjekt bin. Wenn „ich“ kein individuelles Subjekt bin, dann fülle ich das ganze Universum aus. Dass ich das ganze Universum ausfülle, bedeutet, dass alle Dinge Gestalt der Wahrheit sind.

Wahrer Dharma bedeutet: Nichts zu gewinnen. Falscher Dharma bedeutet: Etwas zu gewinnen. Deshalb müssen wir so viel wie möglich verlieren.

Buddhaweg bedeutet: Nichts zu suchen, nichts zu finden. Wenn es etwas zu finden gibt, dann hat das nichts mit dem Buddhadharma zu tun, so sehr du dich auch bei deiner Übung anstrengen magst. Wo es nichts zu finden gibt, genau da ist der Buddhadharma. Wonach du greifst, das wirst du verlieren.

12. An dich, dem es dir nicht so vorkommt, als ob Zazen dir etwas gebracht hätte

Was bringt uns Zazen? Überhaupt nichts!
Solange uns dieses „überhaupt nichts“ nicht so sehr in Fleisch und Blut übergeht, dass wir tatsächlich „überhaupt nichts“ tun, solange bringt das wirklich nichts.

Die Leute sagen: „Ich will durch Zazen zu einem besseren Menschen werden!“
Zazen ist keine Erziehung zum Menschsein. Zazen bedeutet, mit dem Menschsein Schluss zu machen.

Zazen ist unzufriedenstellend. Unzufriedenstellend für wen? Für den Normalbürger – der Mensch wird nicht zufriedengestellt.

Versteht es sich nicht von selbst, dass das, was maßlos und unbegrenzt ist, die Begierden des Menschen nicht zufriedenstellt?

Unzufriedenstellend: Einfach Zazen praktizieren.
Unzufriedenstellend: Zazen mit diesem Körper umsetzen.
Unzufriedenstellend: Zazen in Fleisch und Blut aufnehmen.

Von Zazen ins Auge genommen, von Zazen ausgeschimpft, von Zazen den Weg verstellt, von Zazen herumgeschleift zu werden und jeden Tag blutige Tränen zu vergießen: Ist das nicht die glücklichste Form von Leben, die man sich vorstellen kann?

Manche sagen: „Wenn ich Zazen mache, bekomme ich störende Gedanken!“ Unfug! Wenn du Zazen machst, wirst du dich der störenden Gedanken erst bewusst. Wenn du mit deinen störenden Gedanken zum Tanzen gehst, merkst du nichts von ihnen. Wenn dich während Zazen eine Mücke sticht, merkst du es sofort. Du merkst dagegen nichts, wenn dich beim Tanzen ein Floh am Hoden zwickt, so beschäftigt bist du mit deinem Tanzen.

Quengel nicht vor dich hin. Glotz nicht in die Gegend. Sitz einfach!

13. An dich, der du sagst, dass du durch Zazen einen besseren Geiteszustand erreicht hast

Mit Zazen ist es nicht so wie mit einem Thermometer, auf dem allmählich die Temperatur ansteigt: „Noch ein klein bisschen, …jetzt ist es so weit, ich habe Satori!“ Aus Zazen wird nie etwas Besonderes, solange du auch damit fortfährst. Wenn es zu etwas Besonderem wird, muss sich irgendwo eine Schraube bei dir gelockert haben.

Wenn wir nicht aufpassen, fangen wir noch an zu glauben, Buddhadharma bedeute, ein Treppe zu erklimmen. Doch das ist nicht so: Dieser eine, gegenwärtige Schritt ist die eine Übung, die alle Übungen ist, und ist alle Übungen, die die eine Übung sind.

Tust du etwas Gutes, so bleibst du stecken in deinem Bewusstsein, etwas Gutes zu tun. Hast du ein „Satori“, dann bleibst du stecken in dem Bewusstsein, „Satori“ zu haben. Da ist es besser, von „Gutem“ und „Satori“ die Finger zu lassen. Du musst vollkommen offen und frei sein. Ruhe dich nicht auf irgendwelchen Lorbeeren aus!

Doch selbt wenn ich all dies über den Buddhaweg sage, versuchen die Normalbürger doch noch, mit dem Buddhadharma ihren Wert als Menschen zu steigern.

14. An dich, der du alles daran setzt, „Satori“ zu bekommen

Wir praktizieren nicht, um „Satori“ zu bekommen. Es ist Satori, das unsere Praxis zieht. Wir praktizieren, herumgewirbelt von Satori.

Wir suchen nicht nach dem Weg. Der Buddhaweg sucht nach uns.

Du redest von der Suche nach dem Weg, doch was bedeutet das schon, wenn du nach dem Weg suchst, nur um dich selbst zu befriedigen?

Du willst zum Buddha werden? Was für eine unnütze Anstrengung! Sei einfach du selbst in jedem Augenblick. Was glaubst du erreichen zu können, wenn du diesen Ort aufgibst?

Zazen bedeutet einfach zu sitzen, ohne auch nur daran zu denken, ein Buddha zu werden.

Wir kommen nicht durch Praxis zum Satori: Praxis IST Satori. Jeder einzelne Schritt ist das Ziel.

15. An dich, der du mit deinem „Satori“ hausieren gehst

Wenn du weißt, dass du etwas Schlechtes tust, dann ist es noch nicht so schlimm. Doch die, die da von ihrem „Satori“ plaudern, halten das noch nicht einmal für etwas Schlechtes. Deshalb ist ihnen nicht zu helfen.

Keiner Illusion ist so schwer beizukommen wie dem „Satori“.

Wir dürfen uns mit unserer Praxis nicht in die Brust werfen. Es ist doch klar, dass ein „Satori“, mit dem sich einer in die Brust wirft, eine Lüge ist.

Es ist verkehrt, von Stufen der Praxis zu sprechen. Praxis = Satori.

Satori ist wie ein Dieb, der in ein leeres Haus einbricht. Er bricht ein, doch da gibt es nichts zu klauen. Kein Grund zu fliehen. Niemand, der ihn jagt. Deshalb ist da auch nichts, was zufrieden stellen würde.

16. An dich, der du beeindruckt vom Fortschritt der Wissenschaft und Kultur bist

Wir dürfen nicht vergessen, dass sich die gegenwärtige Wissenschaft und Kultur nur auf der Grundlage unserer niedrigsten Triebe entwickelt haben.

Alles redet von Kultur, aber was ist das schon mehr als eine Verfeinerung unserer Triebe? Wie sehr wir uns auch bemühen, die Falten unserer Triebe auszubügeln, vom Buddhismus aus gesehen hat das mit Fortschritt oder Zivilisation nichts zu tun. Alles redet heutzutage von Fortschritt, doch ich frage mich: In welche Richtung schreiten wir eigentlich fort?

Die Menschen von früher waren auch nur Idioten: Sie verschwendeten ein Vermögen von Geld und Anstrengungen, um Burgen zu bauen – und wozu das Ganze? Um sich darüber zu zanken. Heute sind die Leute noch dümmer: Sie bauen Atom- und Wasserstoffbomben, um die Menschheit mit einem Knopfdruck auszulöschen.

Wie kommt es, dass die Menschheit als solche, gemessen am Fortschritt von Wissenschaft und Technik, überhaupt nicht fortgeschritten ist?

Ein Idiot sitzt am Computer, ein Schwachkopf im Cockpit des Düsenfliegers, ein Irrer am Schaltbrett der Atomraketen – das ist unser gegenwärtiges Problem.

Mit Atom- und Wasserstoffbomben können wir vielleicht unsere Freunde retten, doch nicht unsere Feinde. Nur Zazen vermag es, sowohl Freunde als auch Feinde zu retten.

17. An dich, der du sagst, dass du mit den anderen nicht auskommst

Alle reden von ihrer Meinung, doch wen interessiert die schon? Halt einfach die Klappe!

Da sagen manche: „Für wen hältst du mich eigentlich?!“ Für einen Normalbürger, was sonst? Die einen bilden sich etwas auf ihren Reichtum ein, andere auf ihren Rang und Namen, wieder andere auf ihr Satori. Wie dumm es doch ist, sein Normalbürgertum so zur Schau zu stellen.

Du kreischt: „Frieden, Frieden!“, doch wenn du nur still wärst, wäre es so viel friedlicher. Du sagst: „Meiner Meinung nach…“ – und wenn erst deine Meinungen und Theoriengebäude ins Spiel kommen, fängt das Gezanke wieder an.

„So wohl hier als auch dort sind nur Normalbürger“ (nach der Verfassung der 17 Artikel von Shōtoku Taishi). Da es doch nur Normalbürger sind, die sich bekriegen, sind sie alle im Unrecht, sowohl Freund als auch Feind. Gewinner wie Verlierer sind doch beide nur Normalbürger. Wie traurig, sich die Konflikte in der Welt anzusehen: Da fehlt es an gesundem Verstand. Ein Hitzkopf schwingt ein Schwert, ein anderer ballert mit dem Gewehr in die Gegend.

18. An dich, der du die ganze Zeit darüber klagst, keine Zeit zu haben

Die Menschen halten sich nur so beschäftigt, um der Langeweile zu entgehen.

Alle klagen darüber, so beschäftigt zu sein, dass sei gar keine Zeit mehr haben. Warum aber sind sie so beschäftigt? Es sind bloß ihre Illusionen, die sie beschäftigt halten. Wer Zazen übt, hat dagegen Zeit. Wer Zazen übt, muss versuchen, mehr Zeit zu haben als jeder andere.

Wenn wir nicht aufpassen, fangen wir an, einen großen Wirbel nur um die täglichen Brötchen zu machen. Ständig sind wir in Eile, aber warum? Für unsere täglichen Brötchen. Auch die Hühner picken ganz hastig nach ihrem Futter, doch wofür? Nur um von den Menschen gefressen zu werden.

Die Entwicklung der Verkehrstechnik hat die Welt kleiner gemacht: Wir rasen mit dem Auto herum, doch wohin geht es eigentlich? Ab in die Spielhölle! Wir geben Gas, nur um uns die Zeit totzuschlagen.

19. An dich, der du von der Karriereleiter gepurzelt bist

Wenn du nach dem Tod noch einmal über das Leben nachdenkst, wirst du erkennen, dass alles gleich ist.

Dein Leiden ist nicht mehr als das Leiden, das du daraus machst. Manche plagen sich mühsam daran ab, ihr eigenes Leiden zusammenzuschmieden.

Nur weil du das, was du akzeptieren musst, nicht akzeptieren willst, quälst du dich.

Stumm zu akzeptieren was notwendig ist, bedeutet Satori. Großes Satori heißt, die Notwendigkeit als Notwendigkeit klar zu erkennen. Denn Notwendigkeit ist in den Kosmos eingebunden.

Da gibt es welche, die sich über das Sterben Sorgen machen. Ich sage: „Keine Sorge – du stirbst schon!“

20. An dich, der du gerne Gespenstergeschichten hörst

Oft fragen mich Leute, ob es Gespenster wirklich gibt. Jemanden, der sich über so etwas den Kopf zerbricht, nennt man ein Gespenst.

Ist nicht alles eine Halluzination? Und nur weil wir diese Halluzination nicht als Halluzination erkennen, treiben wir herum durch Leben und Tod.

Die Unterhose hängt zum Trocknen am Ast: Jemand sieht sie und glaubt einen Geist zu erblicken. Vielleicht meinst du, so etwas komme in Wirklichkeit kaum vor, doch wenn wir denken „ich brauche Geld“, „ich will Minister werden“, „ich will vorankommen“, halten wir da nicht alle eine Unterhose für eine Geistererscheinung?

Alle reden von der Realität, aber die ist auch nur ein Traum. Das ist nicht mehr als die Realität innerhalb eines Traums. Wenn von Revolution und Krieg die Rede ist, glauben wir, dass da etwas ganz Besonderes los ist, aber was ist das mehr als ein Sich-Winden im Traum? Wenn du stirbst, erkennst du deinen Traum. Wer nicht während dieses Lebens mit seinem Traum aufräumt, ist ein Normalbürger.

21. An dich, dem es an Geld, Liebe und Rang und Namen fehlt

Himmel und Erde geben, die Luft gibt, das Wasser gibt, die Pflanzen geben, die Tiere geben, die Menschen geben. Alle geben sich gegenseitig von sich selbst. Wir können nur in diesem gegenseitigen Geben leben. Ganz gleich, ob wir dafür dankbar sind oder nicht.

Es gibt wirklich nichts, worüber wir uns beklagen müssten.

Es ist niemandes eigenes Verdienst, in diese Welt geboren worden zu sein. Es lebt auch keiner von uns aus eigener Kraft. Und dennoch sorgen wir uns alle nur um den eigenen Geldbeutel.

Während des Krieges besuchte ich einmal ein Kohlebergwerk. Mit der selben Arbeitskleidung und Kopflampe wie die Bergarbeiter ausgestattet bestieg ich den Fahrstuhl. Ab ging es hinunter! Während wir tiefer und tiefer hinab fuhren, kam es mir auf einmal so vor, als ob wir plötzlich wieder nach oben führen. Doch als ich mit der Lampe in den Schacht leuchtete, sah ich, dass wir noch immer hinabfuhren. Am Anfang, wenn der Fahrstuhl abwärts beschleunigt, kommt es einem auch so vor, als ob man runter fährt. Doch wenn sich die Geschwindigkeit erst einpendelt, erscheint es einem dann plötzlich, als ob man umgekehrt wieder hinauf führe. Genauso täuschen wir uns auch ständig, wenn wir bei der Kalkulation unseres Lebens das Schwanken der Zahlen mit der Summe selbst verwechseln.

Satori bedeutet, zu verlieren. Illusion bedeutet, zu gewinnen.

Nichts für sich selbst zu begehren – das ist die größte Gabe, die man dem Universum darbringen kann.

22. An dich, der du dir bloß ein bisschen fröhlicheres Leben wünscht

Dass stets überhaupt nichts los ist, was auch immer passiert, ist der natürliche Zustand. Irre bedeutet, diesen natürlichen Zustand zu verlieren. Gewöhnlich erkennen wir den natürlichen Zustand nicht. Gewöhnlich stülpen wir noch etwas über ihn darüber, deshalb ist er nicht mehr natürlich.

Buddhadharma bedeutet den natürlichen Zustand. Doch in der Welt ist alles unnatürlich. Sich durchsetzen, unterliegen, alles ausdiskutieren müssen – das ist nicht natürlich.

Jeder Ort füllt Himmel und Erde aus, jeder Augenblick ist ewig.

Die Praxis des Buddhaweges besteht darin, den einen wunderbaren Augenblick, den unser Leben darstellt, stets hier und jetzt zum Leben zu bringen.

Du darfst den Buddhaweg in keinen Rahmen zwängen.

23. An dich, der du sagtst, dass nur die Ärzte und Mönchs-Bonzen eine gute Konjunktur haben

Sowohl der Kinkakuji als auch die goldene Halle im Hōryūji sind nicht für die Übung von Mönchen bestimmt. An solchen Orten können sich die Bonzen mit Faulenzen ihre Brötchen verdienen.

Im ersten Jahr der Meiji-Periode wurde die fünfstufige Pagode des Hōryūji für fünfzig Yen zum Verkauf angeboten, doch es fand sich am Ende kein Interessent dafür. Für die fünfstufige Pagode des Kōfukuji fand sich für dreißig Yen ein Käufer, aber der wollte sie einfach nur abbrennen, um das Gold herauszuholen. Als sie ihm sagten: „Wenn du das tust, brennt uns noch die ganze Stadt Nara ab!“, meinte er: „Also gut, scheiß drauf“, und nur so blieb die Pagode bis heute verschont. Der Marktwert solcher Dinge ändert sich. An Dingen, deren Marktwert sich ändert, ist nichts Großes dran. Wir können auch ohne sie auskommen. Es gibt Wichtigeres. Zazen ist das, worauf es ankommt.

In letzter Zeit gibt es in Kyōto Tempel, die Pensionen oder Hotels betreiben. Komisch, unter den Menschen gibt es welche, die an nichts als ans Geld und Fressen denken können.

„Hauslosigkeit“ bedeutet vollkommenes Loslassen. Es bedeutet, vom Gruppenwahn loszulassen. Die Bonzen von heute wollen nur an sich raffen, deshalb taugen sie zu nichts.

Wenn du die Katze mit Leckereien fütterst, hört sie auf, Mäuse zu fangen. Ein Hund, der verwöhnt wird, hält keine Wacht. Auch der Mensch taugt nicht mehr zur Arbeit, wenn er erst einmal Geld hat und es sich gut gehen lassen kann.

24. An dich, der du sagtst, dass die Bonzen ein bequemes Gewerbe betreiben

Geht es uns um die Lehre, oder geht es uns darum, Geschäfte zu machen? Manche bringen das durcheinander.

Wenn in einem der Haupttempel eine Schar von Zenmönchen schnell und laut die Hälfte des Shōdōka-Sutras liest, werden die Pilger von Ehrfurcht ergriffen. Keine Ahnung, was daran so ehrfurchtgebietend ist, doch aus irgendeinem Grund sind alle beeindruckt. Die Mönche versammeln sich da in Wirklichkeit nur, weil sie ihre Lizenz haben wollen, und der Haupttempel macht Geschäfte, in dem er solche Mönche ansammelt. Dasselbe gilt auch für die Tempel in China. Da werden Geschäfte gemacht, ohne dass dieses Geschäfte-Machen als Geschäfte-Machen erkannt würde.

Dass der Buddhadharma heutzutage heruntergekommen ist bedeutet, dass die Praxis heruntergekommen ist. Es will uns nicht in den Bauch, dass die Praxis selbst Satori ist.

Warum ist der japanische Buddhismus nichts mehr wert? Weil es in Japan die meisten buddhistischen Schätze gibt, bloß keine Praxis. Und wo es keine Praxis gibt, gibt es auch keine Buddhalehre. Selbst wenn der Keim der Buddhalehre vorhanden ist, kann er sich nicht entfalten, solange er nicht durch die Praxis zum Sprießen gebracht wird.

Es heißt, dass der Buddhismus in Thailand, Burma, Ceylon und China sich noch streng an die Regeln und Gebote hält, doch die Buddhalehre ist dort genauso inhaltslos wie hier. Nur die Gewohnheiten sind andere: Hinayana-Gewohnheiten.

25. An dich, der du zur Fortbildung ein bisschen Buddhismus studieren willst

Du musst ganz sterben, um über den Buddhadharma nachdenken zu können. Es reicht nicht, dich bloß halb zu Tode zu quälen.

Die Buddhalehre ist nichts für Schaulustige: Um dich selbst muss es gehen!

Religion bedeutet nicht, die Welt um dich herum umzugestalten. Es bedeutet, deine Augen, deine Ohren, deine Sichtweise und deinen Kopf umzugestalten.

Die Buddhalehre ist kein Studienfach. Die Frage ist: „Was tue ich mit meinem Leib?“ Der menschliche Leib ist höchst praktisch eingerichtet. Doch wozu benützen wir diesen Leib eigentlich? Meistens nur als Sklaven unserer Triebe. Buddhalehre bedeutet, den Leib in einer Weise zu gebrauchen, die ihn nicht zum Sklaven der Triebe macht. Das heißt, Ordnung in Leib und Seele zu bringen.

Die Buddhalehre ist keine Idee. Das Problem, um das es geht, ist die Frage: „Was fange ich mit mir selbst an?“

26. An dich, der du gerne Erbauliches über den Buddhismus hörst

Manche sagen: „Wenn ich den Sawaki reden höre, kühlt sich mein Glaube ab.“ Denen werde ich den Glauben demnächst noch ganz kalt machen! Denn solch ein Glaube ist nichts anderes als Aberglaube. Andere sagen: „Sawakis Gerede erweckt keinen Glauben in mir.“ Es erweckt keinen Aberglauben, das ist alles.

Wieviel Gutes du auch zu tun glaubst – alles, was ein Mensch tut, ist schlecht. Gibst du etwas her, dann denkst du Tag ein Tag aus: „Ich hab’s ihm geschenkt!“ Praktizierst du religiöse Übung, so sagst du dir: „Ich übe, ich übe!“ Und wenn du Gutes tust, vergisst du nie: „Ich tue Gutes, ich tue Gutes!“ Bedeutet das nun, dass wir lieber Schlechtes tun sollten? Nein, denn selbst wenn wir Gutes tun, ist es schlecht – wenn wir Schlechtes tun, ist es noch schlechter.

Wenn du Gutes tust, beginnst du dich aufzuregen über all das Schlechte, das dir plötzlich bei den anderen auffällt. Wenn du Schlechtes tust, bleibst du ruhig, denn dein eigener Arsch juckt dich. Nicht nur, wenn es ums Geld geht, fangen die Menschen an zu berechnen. Bei allen Dingen und in allen Lagen versuchen sie, herunter oder herauf zu feilschen. Das liegt daran, dass ihr Körper und Geist nicht abgefallen sind. Erst wenn Körper und Geist abfallen, zählt dieses Kalkulieren nichts mehr. Der abgefallene Körpergeist ist das Maß- und Grenzenlose.

„Tu Gutes, lass das Schlechte.“ Darüber gibt es keinen Zweifel, aber: Steht denn fest, was gut und was schlecht ist? Gutes und Schlechtes gehen Hand in Hand.

Zazen ist jenseits von Gut und Böse. Es geht uns hier nicht um moralische Fortbildung. Zazen findet da statt, wo Schluss ist mit Kommunismus und Kapitalismus.

27. An dich, der du geradeheraus nach deinem wahren Selbst fragst

Du kannst dich nicht selbst greifen und festhalten. Umgekehrt verwirklichst du dich genau in dem Augenblick, in dem du dich ganz verloren gibst, in eins mit dem Universum.

Dieser Körper ist das ganze Universum. Wenn du nicht dieses Selbstvertrauen hast, wirst du irgendwo hängen bleiben. Wenn du eifersüchtig bist und von einer Laune in die andere fällst, bedeutet das, dass du an etwas hängen bleibst.

Vergiss einfach alles, was du seit deiner Geburt aufgeschnappt hast.

Wenn ein Wassertropfen sich im Meer auflöst und wenn ein Staubkörnchen im Erdboden versinkt, dann ist der Wassertropfen bereits das Meer und das Staubkorn ist die Erde.

Alle Dinge sind Inhalt deiner selbst. Deshalb muss dein Handeln auch die Wünsche der anderen berücksichtigen.

Wenn wir bei allen Dingen, von denen wir Gebrauch machen, an die denken, die nach uns kommen, bedeutet das, dass wir uns der Gesellschaft erkenntlich zeigen.

28. An dich, der du den Buddhismus für den größten Gedanken in der Geschichte der Menschheit hältst

Religion ist kein Gedanke. Sie ist Praxis.

Über die Buddhalehre dürfen wir uns nicht in Gedanken verlieren!

Pass auf, dass du den Buddhadharma nicht wie eine Konservendose auffasst, die mit der Realität nichts zu tun hat.

Alles was aus deinem Mund kommt, deine Erklärungen und Aufsätze: Es ist nur dummes Zeug. Deine Gesichtszüge verraten bereits, was Sache ist.

Die Wirklichkeit kannst du mit Worten vollkommen frei ausdrücken. Doch diese Worte selbst sind nicht die Wirklichkeit. Wenn die Wirklichkeit in den Worten selbst steckte, müsstest du dir die Zunge verbrennen, wenn du „Feuer“ sagst. Und immer, wenn du vom Wein sprächest, müssest du betrunken werden, aber in Wirklichkeit ist es nicht so einfach.

Was ohne Realität ist, taugt nichts, egal, wie wir es bezeichnen. Gleich wie wir sie wenden, mit Theorie kommen wir nicht weiter. Worte sind nicht mehr als Worte.

29. An dich, der du dich freust, wenn man dir Komplimente für die Tiefe deines Glaubens macht

Viele verwechseln eine Art Rausch mit Glauben. Es gibt da einen der Ehrfurcht ähnlichen Rausch, der aber nur eine Täuschung ist. Glaube bedeutet umgekehrt: vollkommenes Nüchternwerden von jeglichem Rausch.

Glauben bedeutet, klar und rein zu sein. Er besteht aus Gelassensein. Doch da gibt es wieder einmal Leute, die das mit Aufgeregtsein verwechseln und mit allen Kräften versuchen, sich in Aufregung zu versetzen. Da stellen sie plötzlich fest, dass es gar nicht so einfach ist, sich in Aufregung zu versetzen: Deshalb tun sie dann wenigstens aufgeregt.

Alle wollen ins Paradies, aber hast du es jemals tatsächlich gesehen? Wenn ja, musst du dich wohl sehr getäuscht haben.

Wenn ein Kult anfängt, riesige Massen von Anhängern anzuziehen, glaubt plötzlich jeder, dass etwas Wahres daran sein muss.

Die Zahl der Anhänger bestimmt nicht, ob eine Religion gut ist. Wenn es darum geht, wer die größten Zahlen vorweisen kann – ist es nicht der Kult der Normalbürger, der die meisten Mitglieder hat? Nein, die Bakterien, von denen gibt’s noch mehr!

Wird da nicht ein Haufen von Wahnideen an den Mann gebracht, unter den Etiketten „Glaube“, „Satori“ und so weiter?

30. An dich, der du sagst, dass das Shōbōgenzō schwer zu verstehen ist

Dōgen Zenji erwartet wirklich nichts Menschenunmögliches von uns. Es geht nur darum, natürlich zu werden, ohne leere Gedanken und Sonderbarkeiten. Überhaupt verlangt der Buddhismus nach nichts Sonderbarem, sondern nur danach, natürlich zu werden. Selbst wenn uns manche Verse in den Sutren sonderbar erscheinen mögen – beispielsweise: „Das weiße Härchen zwischen den Augenbrauen lässt die dreitausend großen Welten erstrahlen“ – so sind das doch nur literarische Symbole für das Königs-Samadhi.

Die Sache, die an Dōgen Zenji am meisten fasziniert, ist, dass er dich selbst als Buddhalehre ins Auge fasst, anstatt Märchen für Normalbürger zum Besten zu geben. Deshalb trennt er uns auch nicht von Amithaba und Shakyamuni, sondern spricht vom Fahrzeug des einen Buddha, und der bist du selbst. Da versteht es sich von selbst, dass für Dōgen Zenji die Praxis des Zazen das Gedeihen des Buddhadharma bedeutet, und nicht etwa das Errichten von Tempelhallen und Pagoden. Dōgen Zenjis Zazen ist vollkommen transparent. Es bringt dem Normalbürger nichts: „Übe die Buddhalehre nicht um deiner selbst willen. Übe sie nicht, um dir einen Namen zu machen. Übe sie nicht, um Verdienste zu erwerben. Übe sie nicht, um spirituelle Erlebnisse zu haben. Übe die Buddhalehre einfach der Buddhalehre zu Liebe.“ (Gakudōyōjinshū) Das ist sein Dharma.

Dōgen Zenji „kehrte mit leeren Händen heim“ (Eihei Kōroku). Als er zurück nach Japan kam, zeigte er kein Satori herum wie andere ihre Tätowierungen. „Durch Zazen zum Satori gelangen“ – ganz offen und ungekünstelt erlöst uns seine Heimkehr mit leeren Händen von dieser verkrampften Behauptung.

Ein Christ fragte mich einmal: „Mein Pfarrer hat gesagt, dass keine Religion soviele Lügen verbreitet wie der Buddhismus. Stimmt das wirklich?“ Da habe ich geantwortet: „Du hast den Nagel auf den Kopf getroffen, schlaues Kerlchen!“ Sowohl das Lotus-Sutra als auch das Blumenglanz-Sutra und das Shōbōgenzō sind nichts als lauter Lügen, wenn sie nicht in die Praxis umgesetzt werden. Ohne Zazen ist Buddhismus eine reine Lüge.

31. An dich, der du sagst, dass der Buddhismus nichts mit dir zu tun hat

Wenn du von Buddha sprichst, denkst du an ein fernes Ding, das mit dir nichts zu tun hat, und deshalb läufst du ziellos im Kreis herum.

Normalbürger und Buddhas haben die selbe Gestalt. Erwachen und Verirren sind wie die zwei Seiten der selben Münze.

Wenn wir die Buddhalehre ausüben, sind wir Buddha. Oder besser: Eben weil wir Buddha sind, sind wir im Stande, die Buddhalehre auszuüben.

Du glaubst, Buddhismus unterscheide sich ein wenig vom Rest der Dinge? Aber so ist es nicht: Buddhismus geht von A bis Z. „Alles von A bis Z ist ein Spross von mir selbst“ – so betrachtet ein Buddhist die Dinge.

Wenn Erwachsene nur noch erwachsen sind, wachsen die Kinder nicht auf. Wenn die Kinder weinen, musst du mit ihnen weinen. Erwachsene müssen Kinder sein, Kinder müssen erwachsen sein.

32. An dich, der du sagst, dass dein Leib, so wie er ist, bereits Buddha ist

Nur wenn du das Handeln Buddhas in die Praxis umsetzt, dann bist du mit Buddha verbunden selbst ein Buddha. Wenn du dagegen wie ein Idiot handelst, dann bist du auch ein Idiot.

Buddha erscheint in der Lebenseinstellung von jedem einzelnen von uns.

Buddha nennt man einen, der das Handeln Buddhas praktiziert.

Ein Buddha, den sich die Menschen ausgedacht haben, ist kein Buddha.

Buddha heißt „unbegrenzt“, weil er keine feste Gestalt hat. Das hat nichts mit seinem Volumen zu tun.

Buddha ist fröhlich, frei und aufgeweckt. Seine Weisheit lässt sich in keine Begriffe fassen. Doch alle Welt scheint zu glauben, Buddha sei ein unglücksverheißender Pessimist.

33. An dich, der du dich so sehr an deinen ruhigen Geist klammerst, dass du dabei ganz unruhig wirst

Die Buddhalehre ist maßlos und unbegrenzt – wie könnte sie da in deinen Rahmen passen?

Du bist unruhig, weil du glaubst, dass die Geistesruhe, der du nachjagst, aus nichts als Geistesruhe bestehen soll. Aber das ist verkehrt: Nicht einmal für einen einzigen Augenblick darfst du dich von deinem Geist lösen, so unruhig er auch sein mag. Große Geistesruhe verwirklicht sich genau in der Praxis, die sich innerhalb deines unruhigen Geistes vollzieht. Große Geistesruhe bezeichnet diese Wechselwirkung von ruhigem und unruhigem Geist.

Geistesruhe, die komplett in Ruhe ist, ist eine Fabrikation. Wirkliche Geistesruhe gibt es nur in der Mitte von Geistes-Unruhe.

Wo dein Unbefriedigt-Sein als Unbefriedigt-Sein zu den Akten gelegt wird, da herrscht Geistesruhe. Das ist so wie der Geist eines Tauben, der heimlich lauschend seinen eigenen Fehler erkennt. Oder der Geist dessen, der nackt um sein Leben flehend, in Sekundenschnelle stirbt. Oder aber auch der Geist dessen, der den Bettler, der ihm bis heute unnachgiebig am Ärmel zupfend überallhin nachfolgte, plötzlich nicht mehr finden kann. Es ist der Geist nach der Flut, die den Schönheitssalon guten Glaubens hinwegschwemmt.

Zufriedenheit bedeutet aufzuhören, nach ihr zu jagen.

Wie könnte ein Mensch je über Geistesruhe verfügen? Das eigentliche Problem ist, was wir mit diesem Menschen anfangen. Was wir mit diesem stinkenden Fleischsack anfangen, dass ist das Problem.

34. An dich, der du dein Leben aus Zen heraus leben willst

Praxis bedeutet, mit Leib und Seele der Frage auf den Grund zu gehen: „Was kann ich in diesem Moment für den Buddhaweg tun?“

Selbst bei einer Teetasse stellt es einen großen Unterschied dar, ob du sie bloß hinwirfst, oder ob du sie bis zum Schluss in der Hand führst, um sie abzusetzen.

Es muss deine Grundeinstellung in allen Handlungen sein, sie ganz bis zum Schluss durchzuführen. Wenn du auch nur für einen Augenblick abwesend bist, bist du wie ein Toter.

Worauf es ankommt ist, deine Muskeln und Sehnen richtig entspannt anzuordnen. Es geht darum, ein Mensch ohne Lücken zu werden – das heißt, die geeignete Spannung und Ordnung der Muskeln und Sehnen zu finden.

Worum geht es in der Buddhalehre? Darum, dass dein gesamtes tägliche Leben von Buddha her gezogen wird.

Es reicht nicht, nur einmal ins Schwarze zu treffen. Die „volle Punktzahl“ vom letzten Jahr ist heute nichts mehr wert. Genau jetzt musst du ins Schwarze treffen: „Verschwende keine Gedanken an früher oder später, sei frei in der Mitte dieses Augenblicks!“

sawakikind