Hitoshi Nagai:
Penetre und ich
3-3 Kann man Dinge sehen, weil sie existieren? Oder existieren sie, weil man sie sehen kann?
Penetre: Glaubst, dass man etwas sehen und anfassen kann, weil es existiert? Oder glaubst, dass etwas existiert, weil du es sehen und anfassen kannst?
Ich: Natürlich müssen die Dinge erst einmal existieren, damit ich sie sehen und anfassen kann!
Penetre: Warum bist du dir da so sicher? Dass du die Dinge sehen und anfassen kannst, weil sie existieren, kannst du doch nur behaupten, weil du sie sehen und anfassen kannst. Wenn du etwas nicht sehen oder anfassen kannst, dann weißt du auch nicht, ob es existiert.
Ich: Gut, vielleicht weiß ich dann nicht, ob das Ding existiert. Aber die Existenz des Dinges ist doch unabhängig davon, ob ich es erkenne oder nicht.
Penetre: Wie kannst du denn behaupten, es gäbe eine vom Erkennen unabhängige Existenz? Um das zu behaupten, musst du doch erstmal etwas erkannt haben. Muss man etwas nicht erst einmal gesehen und erkannt haben, bevor man sagen kann, dass es existiert?
Ich: Willst du damit sagen, dass Dinge nur existieren, wenn man sie auch sehen und anfassen kann? Das ist doch seltsam! Die Dinge existieren doch unabhängig davon, ob man sie gerade sieht oder nicht.
Penetre: Natürlich, du hast da nicht ganz unrecht. Die Antwort ist deshalb weder, dass die Dinge existieren, weil man sie sehen kann, noch dass man sie sehen kann, weil sie existieren. In Wahrheit muss man sie sehen, um zu erkennen, dass sie existieren müssen, damit man sie sehen kann.
Ich: ???
3-4 Ist einer der weint, eine Heulsuse? Oder weint er, weil er eine Heulsuse ist?
Penetre: Du kennst bestimmt auch Kinder, die man „Heulsusen“ nennt, nicht wahr? Sind das Heulsusen, weil sie weinen, oder weinen die, weil sie Heulsusen sind?
Ich: Heulsusen werden sie genannt, weil sie so oft heulen. Aber wenn sie keine Heulsusen wären, dann würden sie auch nicht so schnell mit dem Heulen anfangen…
Penetre: Ist das nicht merkwürdig? Dann weiß man ja nicht, ob die Tatsache, dass einer eine Heulsuse ist, die Ursache oder die Wirkung des Weinens darstellt. Was denkst du?
Ich: Ursache oder Wirkung? Das ist eine schwierige Frage!
Penetre: Also, es ist doch so: der Grund, weshalb einer Heulsuse genannt wird, ist dass er oft heult. Aber der Grund, warum er so oft heult, ist dass er eine Heulsuse ist. Es verhält sich genauso wie mit dem blauen Vogel, bei dem man erst einmal erkennen muss, dass er von Anfang an blau war (siehe 3-2). Das Weinen ist also der Grund dafür, dass das Heulsusen-Sein zum Grund des Weinens erklärt wird.
Ich: Ich hab’s! Eine Heulsuse ist man nicht einfach deshalb, weil man so oft weint, und man weint auch nicht, weil man eine Heulsuse ist. In Wirklichkeit kann man nur deshalb behaupten, dass einer so oft weint, weil er eine Heulsuse ist, weil er so oft weint. Stimmt’s?
3-5 Wann wurde der blaue Vogel blau (2)?
Penetre: Der blaue Vogel steht für das Glück, nicht wahr? Was bedeutet die Geschichte aber wirklich?
Ich: Ist das nicht ganz einfach? Das wahre Glück findet man nicht in der Ferne, sondern zuhause bei sich.
Penetre: Bedeutet das, dass die Kinder, die sich auf die Suche nach dem Vogel gemacht haben, von Anfang an glücklich waren – ohne es zu wissen? Oder haben sie das Glück erst am Ende gefunden, als Ergebnis ihrer Suche?
Ich: Der Autor will mit seiner Geschichte vermutlich sagen, dass wir in Wirklichkeit schon glücklich sind, ohne uns dessen von Anfang an bewusst zu sein. Die Frage ist nur, ob man jemanden schon glücklich nennen kann, der sich seines Glücks noch nicht bewusst ist. Wenn sich jemand nicht wirklich glücklich fühlt, dann ist er auch nicht glücklich – oder?
Penetre: Du behauptest also, dass etwas nicht blau sein kann, wenn es nicht blau aussieht?
Ich: Nein, das ist etwas anderes. Ob etwas blau aussieht oder nicht, liegt nicht nur daran, wie es der Betreffende sieht. Für die Bläue gibt es objektive Kriterien. Welche Kriterien gibt es aber für das Glück, außer ob sich jemand tatsächlich glücklich fühlt oder nicht?
Penetre: Also ist einer, dem man in einem Lebenssimulator ein glückliches Leben vorspielt, auch wirklich glücklich – stimmt’s (siehe 1-5)?
Ich: Hmm… Da bin ich mir wiederum nicht so sicher.
Penetre: Stell dir einen Menschen vor, dem man vorschwindelt, dass er in Wirklichkeit glücklich sei. Lange Zeit glaubt er es tatsächlich, aber irgendwann kommt er hinter den Schwindel. Wird er dann plötzlich unglücklich? Nein, wahrscheinlich wird er in dem Augenblick erkennen, dass er die ganze Zeit über nicht wirklich glücklich war. Er wird also nicht deshalb unglücklich, weil er hinter den Schwindel gekommen ist, und es ist auch nicht so, dass er von Anfang an unglücklich war. Erst als er hinter den Schwindel gekommen ist, hat er erkannt, dass er die ganze Zeit über unglücklich war. Wie war es noch einmal mit dem blauen Vogel?
Ich: Verstehe, es ist also umgekehrt wie beim blauen Vogel. Die Kinder sind nicht in dem Augenblick glücklich geworden, als sie erkannten, dass ihr Vogel blau ist. Andererseits waren sie aber auch nicht von Anfang an glücklich. Sie wurden in dem Augenblick „von Anfang an glücklich“, als sie den Vogel als blau erkannten.
Penetre: Das bedeutet also, dass man in Wirklichkeit glücklich sein kann, ohne sich unbedingt glücklich zu fühlen. Oder nicht?
Ich: Aber um das zu behaupten, muss man es doch im Nachhinein erkennen! Man muss dafür erst einmal erkennen, dass man selbst dann schon glücklich war, als man sich noch unglücklich fühlte. Wenn einer das nicht erkennt, kann man ihn dann wirklich „in Wirklichkeit glücklich“ nennen?