Jahrbuch 2011

Antaiji


Dirk


„Sitz still!“ dröhnt es durch den Hondo. Eine kleine Aufmunterung Docho-Sans die einem half die nagende Kälte zu vergessen. Auch der Schmerz in den Beinen war wie weggeblasen. Die Vögel verstummten mit dem Gesang, selbst die Wanze auf der Tatami hielt inne.   Seit Jahren schiffe ich auf nebligem Meer durch das Leben in der Hoffnung klare Sicht zu bekommen. Mein erster ernsthafter Versuch dem Buddha auf die Spur zu kommen führte mich nach Bodh-Gaya / Indien. Logisch. Hier soll der Ort seines Erwachens gewesen sein. Das das mit Stillsitzen zu tun hatte war mir damals eher nicht geläufig. Zumal das Kloster indem ich wohnte ein tibetanisches war und die Mönche sich in der Halle dort beim „Stillsitzen“ hin-und-her-wiegten um dem Rhythmus der jeweiligen Rezitation zu folgend. Doch keine 100 Meter Luftlinie meines Sitzplatzes stand der heilige Bodhibaum. Das sollte wohl genügen um hier einen Hauch Erleuchtung zu erhaschen, auf das der Nebel in meinem Hirn sich lichtete. Dachte ich damals. Doch er lichtete sich nicht. Vernebelt ging es also weiter mit selbsterdachter Navigation durch die geistigen Kulturen Asiens.
Bis zu dem Moment als ich Docho-San Anfang der 2000der im Deutschen Fernsehen erlebte. Zufällig. Und auch nur eine Restsequenz eines Beitrages. Er allein sitzend im Hondo in Antaiji. Viel Schnee. Idylle. Ein Wunsch in mir wurde wach. Einmal dorthin. Dennoch ein „gemalter Kuchen“ in Anbetracht dessen da ich bei 20 Grad Zimmertemperatur in den Fernseher schaute. Jahre später, wieder 20 Grad temperiert, tauchte sein Gesicht als Titelcover seines Buches „ZAZEN oder der Weg zum Glück“ beim Amazon.de Portal auf. Mich erinnernd, und noch immer vernebelt auf der Suche nach Glück, war das Buch gekauft, gelesen und mit Freude im Internet festgestellt das der Meister Deutschland besucht. Inzwischen war ich auch mit der Seite http://antaiji.dogen-zen.de/deu/ vertraut wo ich lesen musste das alte Männer wie ich eher nicht erwünscht sind, da das Leben in Antaiji zum Teil sehr hart sein kann. Ungeachtet dessen wollte ich dennoch den Meister fragen ob ich nach Antaiji kommen könne. Die Gelegenheit kam. Docho-San gastierte im Tenzo-Gasthof in Triepkendorf keine 60 km von meinem Heim entfernt.
„Wenn du es dir zutraust kannst du gerne kommen.“  Seine Worte lösten einen Freudentaumel in mir aus. Doch in seinem offenen Lächeln war nicht nur Einladung zu erkennen. Wie war das noch gleich mit dem „gemalten Kuchen“?  
„Don´t move!!!“
Ich betrat am 26.03.2011 den „heiligen Boden“ des Klosters.
„Abfallen von Körper und Geist“. Das war die Formel die mich tragen sollte in Antaiji. Und auch: „Um dich geht es hier nicht“. „Wir praktizieren Leben-und-Tod-Zen“. Eine klare Ansprache Docho-Sans am zweiten Tage meiner Ankunft an die „Neuen“. Keiner kann sich hier das Leben nach seinen eigenen Vorstellungen zurecht-philosophieren. Natürlich kommen hier außergewöhnliche Menschen zusammen. Natürlich schiffen einige von ihnen, so wie ich, in vernebelten Meeren dahin auf der Suche nach ... Erfüllung, Glück, wie auch immer das Wunsch-Ziel heißen mag. Docho-San lädt sie alle ein. Um mit ihm zu praktizieren. Nur „ein paar“ Regeln gilt es zu befolgen. Meine Regel Nummer 1 war: nerve die anderen nicht. Lass ab von deiner Ego-Meinung. „Dieses gefällt mir, jenes nicht.“ Die Regeln in Antaiji zu befolgen ist eine große Übung. Für Alle. Natürlich fragte ich mich warum der Wischlappen der Toilette nicht der Wischlappen des Ofuro zu sein hat. Und der Schrubber des Ofuro nicht zum Reinigen des Hondo-Rundganges zu benutzen ist. Die Erläuterungen des Jikido Jido-San waren sehr wichtig, aber wichtig war auch das eigene kommentierende Ego sein zu lassen. Den Regeln zu folgen bedeutete die Anderen nicht zu stören. Sozusagen Kinhin im Alltag.  
Dogen* sagte: ...“Heutzutage haften die Übenden jedoch an ihrem eigenen gewohnheitsmäßigem Denken. Ihr Denken beruht auf ihren eigenen Ansichten, wie der Buddha sein muß; wenn etwas mit ihren eigenen Ansichten nicht übereinstimmt, sagen sie, das der Buddha so nicht sein könne.
Mit einer solchen Einstellung  schweifen die Leute in Verblendung umher und suchen das, was mit ihrer eigenen vorgefaßten Meinung übereinstimmt; deshalb kommt fast niemand wirklich auf dem Buddha-Weg vorwärts.“   In Anbetracht dessen, da es für mich nicht viele Möglichkeiten gibt in einem Zen-Kloster wahre Praxis zu üben, war es für mich ein Geringes meine eigenen Befindlichkeiten die ich tagtäglich durch mein Leben schleppe und die mich unzufrieden machen, sein zu lassen, mich in die Sangha zu assimilieren, mit ihr zu praktizieren mit dem Wissen das jede meiner Handlungen der Sangha eine Stütze sein kann. Docho-San bemerkte einmal: „Antaiji ist eine Schule für Boddhisattvas“. Ich konnte Vieles hier lernen. Vor allem Geben, Freundliche Worte und Hilfreiches Handeln.
„Eines Tages besuchte Dogen Zenji Antaiji. Was tat er. Er ging in die Küche um zu prüfen wie der Tenzo arbeitet. Er schaute sich den Ofen an, die Kochgeräte, Regale, Schalen und Stäbchen. Ist alles sauber, aufgeräumt, jedes Ding an seinem Platz? Er schaute - und sagte nichts. Als nächstes ging er in den Hondo um zu sehen wie viele Zabutons und Zafus an ihren Plätzen lagen, wie geschmückt ist der Altar. Er schaute - und sagte nichts. Dann ging er geführt von Docho-San durch das Gelände sah die Reis- und Gemüsefelder, ging vorbei am Friedhof, den Grabmalen der ehemaligen Dorfbewohner, vorbei am Shinto-Schrein und verweilte an einem offenbar sehr altem und schon recht verfallenem Gebäude. Dogen fragte Docho-San: „Was ist das für ein Gebäude? Docho-Sans Antwort war: „Das ist unser Hühnerstall.“ Dogen: „Mh, ein Hühnerstall. Es ist wohl eher ein Desaster. Dennoch ein gutes Beispiel für Vergänglichkeit.“ Darauf ging Dogen wieder in Richtung des Hondo. Er sah die im Wind klappernden Bleche an den Scheunen, sah die bröckelnden Wände der Gebäude, dürftig reparierte Wasserleitungen, rostige Autos. Und inmitten des Weges zum Haupttor des Hondo zwischen all den Hortensien die im Sommer blau erblühen vollzog er eine dreimalige Niederwerfung. Anschließend nahm er sein Tagebuch und schrieb: „Niemals habe ich w a h r e Übende gesehen oder von ihnen gehört – und zwar seit Sakyamuni bis auf den heutigen Tag  -, die große Reichtümer besessen hätten.“ 
Später schrieb er noch: „Weg-Übende! Erlernt das Buddha-Dharma nicht um euer Selbst willen. Erlernt es nur um des Buddha-Dharma willen. Das Wichtigste dabei ist, Leib und Seele ohne jeden Vorbehalt abzuwerfen und euch dem großen Meer des Buddha-Dharma zu weihen. Und als nächstes: Befasst euch nicht mit Richtig und Falsch, haftet nicht an euren eigenen Ansichten, kümmert euch nicht um Mühsal und Plagen und lasst euch bei der Übung nur vom Buddha-Dharma stärken. Wollt ihr etwas unbedingt tun, es stimmt aber nicht mit dem Buddha-Dharma überein, so laßt es sein. Erwartet niemals eine Belohnung für eure Leistung, den Buddha-Weg geübt zu haben. Habt ihr einmal die Richtung des Buddha-Weges eingeschlagen, schaut niemals auf eure eigene Vergangenheit zurück. Übt unentwegt gemäß den Regeln des Buddha-Dharma und haftet nicht an persönlichen Ansichten.“  
Langsam lichtet sich der Nebel. Sitzen, Arbeiten, Sein, freundliche Worte. Unabgelenkt ist das Leben in Antaiji. Ich musste gehen. Beim Abschied
Tränen in meinen Augen. Gassho vor der Sangha. Noch drei Worte:“ Ich werde wiederkommen.“ Auf der Fahrt nach Hamasaka merkte ich das „mein Haupt brannte“ ... 
Vielen Dank Docho-San,
vielen Dank an alle mit denen ich praktizieren durfte 
alle folgenden Dogen Zitate entstammen dem „Shobogenzo Zuimonki – Unterweisungen zum wahren Buddhaweg“ Werner Kristkeitz Verlag, 1997
 
Dirk, 47
Joachimsthal
Germany


Switch to Japanese Switch to French Switch to English