Antaiji

Kloster des Friedens

Die Nacht in der transgalaktischen Eisenbahn
15. Das Kreuz des Südens und der Kohlensack


   „Bald kommen wir am Kreuz des Südens an. Macht Euch fertig, bitte.“, sagte da der junge Mann.
   „Ich will aber noch ein bisschen weiter fahren!“, fing Tadashi an zu nörgeln. Neben Campanella macht sich Kaoru bereit zum Aussteigen. Doch auch sie schien sich nur ungern von Campanella und Giovanni zu trennen.
   „Wir müssen aber hier aussteigen!“, sagte der junge Mann jetzt mit einem strengen Blick auf den Jungen herab.
   „Nein, ich will nicht! Ich will weiter mit der Eisenbahn! Ich kann doch später nachkommen!“
   Giovanni konnte sich nicht mehr zurückhalten: „Dann komm doch mit uns! Mit unserer Fahrkarte kannst Du so weit fahren, wie Du willst.“
   „Wir müssen jetzt wirklich los. Denn hier geht es zum Himmel.“, sagte nun auch Kaoru traurig.
   „Warum wollt Ihr denn in den Himmel? Unser Lehrer sagt immer, wir sollten jeder an dem Ort, an dem er gerade ist, eine Welt erschaffen, die noch schöner ist als der Himmel selbst!“
   „Aber unsere Mutter ist auch schon dort, und außerdem ruft uns Gott zu sich.“
   „So ein Gott ist doch nicht der echte Gott!“
   „Nein, Dein Gott ist kein echter Gott!“
   „Doch, das ist er wohl!“
   „Was für ein Gott ist denn Dein Gott?“, fragte da der junge Mann mit einem Lächeln.
   „Das weiß ich auch nicht genau, aber auf jeden Fall ist es der eine, wahre Gott.“
   „Es gibt ja nur einen Gott, und das ist der wahre.“
   „So meine ich das nicht. Ich meine den einen, wirklich wahren Gott!“
   „Von dem spreche ich doch. Ich werde dafür beten, dass Ihr uns bald wieder vor dem einen Gott treffen werdet.“
   Der junge Mann faltete andächtig die Hände, und Kaoru tat es ihm nach. Sie sahen alle etwas bleich aus, so als täte es ihnen leid, Abschied nehmen zu müssen. Giovanni musste fast Weinen.
   „Habt Ihr Euch alle auf das Aussteigen vorbereitet? Gleich kommen wir am Kreuz des Südens an.“
   Da sahen sie es vor sich aus dem unsichtbaren Himmelsfluss ragen wie einen Baum: Ein Kreuz in Blau und Orange und allen leuchtenden Farben. Darüber thronten weißlich-blaue Wolken, die sich zu einer Halo geringt hatten. Nun wurde es wieder laut im Abteil. So wie bereits am Kreuz des Nordens standen alle kerzengerade, um zu beten. Aus allen Ecken waren Stimmen zu hören, manche wie das freudige Lachen von Kindern, die unerhofft eine Melone gefunden haben, andere wie ein tiefes, andächtiges Seufzen. Das Kreuz stand ihnen jetzt direkt gegenüber, und der Wolkenkranz, der aus dem Fruchtfleisch eines Apfels gemacht zu sein schien, drehte sich leise im Kreis.
   „Halluleja, Halluleja!“
   Frohe Stimmen erklangen überall. Aus der abgründigen Tiefe des Himmels, dieses fernen und kalten Firmaments, drang der klare Klang einer Trompete an aller Ohren. Der Zug durchquerte eine große Anzahl von Signalen und elektrischen Lichern, fuhr dann langsamer um schließlich direkt vor dem Kreuz zum Stillstand zu kommen.
   „Zeit zum Aussteigen!“, sagte der junge Mann und schritt auf den Ausgang am anderen Ende des Wagens zu, den kleinen Tadashi an der Hand ziehend.
   „Auf Wiedersehen!“, rief Kaoru über ihre Schulter hinweg Giovanni und Campanella zu.
   „Auf Wiedersehen!“, brüllte jetzt auch Giovanni. Er wirkte wütend, doch in Wirklichkeit kämpfte er mit den Tränen. Mit weit aufgerissenen Augen drehte sich Kaoru noch einmal zu ihnen um. Auch ihr tat es weh. Schweigend verließ sie das Abteil. Der Zug war jetzt plötzlich halbleer und ein einsamer Wind bließ herein. Draußen sahen sie die Menschen in einer Reihe am Ufer des Himmelsflusses knien, andächtig auf das Kreuz gerichtet. Von der anderen Seite her überquerte eine Person in einem prachtvollen weißen Gewand das durchsichtige Wasser. Sie hatte die Arme weit ausgebreitet. Doch da ertönte bereits die Glaspfeife, und der Zug setzte sich wieder in Bewegung. Gleichzeitig kam ein silberner Nebel den Fluss herauf geströmt, der ihnen die Sicht auf das andere Ufer nahm. Nur das Glänzen der Blätter von vielen Walnusbäumen war in dem Nebel zu erkennen, und mitten darin guckte immer wieder das niedliche Gesicht eines elektrischen Eichhörnchens mit goldenem Heiligenschein hervor!
   Da löste sich der Nebel auch schon wieder auf. Eine Lichterreihe säumte eine Landstraße, die irgendwo in die Ferne zu führen schien. Doch für ein Weile verlief sie parallel zu den Bahngleisen. Immer wenn die beiden vor einem der erbsenfarbenen Lichter vorbeifuhren, erlosch es wie zum Gruß, um im nächsten Augenblick wieder hinter ihnen aufzublinken.
   Als sie sich umblickten, sahen sie, dass das Kreuz hinter ihnen so klein geworden war, als hinge es jemandem um den Hals. Es war so dunstig, dass sie nicht mehr erkennen konnten, ob Kaoru und Tadashi noch mit den anderen am weißen Ufer knieten, oder ob sie sich bereits in den Himmel – wo immer der auch sein mochte – begeben hatten.
   „Aaah!“, Giovanni stieß einen tiefen Seufzer aus. „Campanella, jetzt sind nur noch wir beide hier. Lass uns gemeinsam bis ans Ende der Welt fahren! Wenn ich damit zum Glück aller beitragen kann, dann würde ich dafür auch diesen Körper in Flammen setzen. So wie es auch der Skorpion getan hat, und das hundert Mal!“ „Das geht mir genauso.“, sagte Campanella. Er hatte Perlentränen in den Augen.
   „Die Frage ist nur, was ist eigentlich Glück?“
   „Das weiß auch ich nicht.“, meinte Campanella geistesabwesend. Mit einem tiefen Ausatem, der die Kräfte in seiner Brust wachrief, sagte Giovanni:
   „Wir wollen unser Bestes geben!“
   „Da, dort drüben ist der Kohlensack! Das Himmelsloch!“
   Campanella wendete sich ein wenig ab, als er auf eine bestimmte Stelle am Himmel zeigte. Giovanni erschrak, als er die Stelle sah: Tatsächlich klaffte da ein großes, pechschwarzes Loch inmitten des Himmelsflusses. Wie tief mag es wohl sein? Was könnte sich auf seinem Grund versteckt halten? So sehr Giovanni auch seine Augen rieb und anstrengt hinschaute, er vermochte nichts zu erkennen und nur die Augen taten ihm bald weh. Da sagte er:
   „Selbst vor solch einer tiefen Finsternis fürchte ich mich jetzt nicht mehr. Ich will nur nach dem Glück aller Wesen suchen. Egal, wohin die Reise geht, lass uns gemeinsam fahren.“
   „Ja, ganz bestimmt. Sieh nur, die Wiese dort drüben: Wie schön sie doch ist! Da haben sich alle versammelt, das muss der wirkliche Himmel sein. Und da, da ist auch meine Mutter!“, rief Campanella plötzlich, auf einen Fleck fern am Himmelszelt zeigend. Giovanni blickte ebenfalls in die Richtung, doch hinter weißem Dunst konnte er nichts von dem erkennen, was Campanella erzählte. Er wusste nicht, was er sagen sollte, und blickte verloren weiter in die Richtung, in Gedanken ganz bei sich allein. Da erschienen am anderen Flussufer zwei Telegrafenmasten, deren rote Signalbalken wie Arme verschränkt waren.
   „Campanella, uns wird nichts trennen, nicht wahr?“
   Als sich Giovanni mit diesen Worten umblickte, war der Platz, an dem Campanella bis eben gesessen hatte, leer! Nur der Samt glänzte dunkel, von Campanella fehlte jede Spur.
   Wie eine Gewehrkugel schoss Giovanni in die Höhe. Damit man ihn nicht hören möge, lehnte er sich weit aus dem Fenster. Er trommelte auf seine Brust, schrie sich die Lunge aus dem Leib. Schließlich brach aus der Tiefe seiner Kehle ein lautes Weinen hervor.

16. Professor Vulcanello


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