Wasserspiele – Auch wenn man baden geht.

Adrian


Ich habe bisher niemals mit meinen Eltern darüber gesprochen, bin mir aber sicher eine Wassergeburt gewesen zu sein. Da ich offensichtlich bisher nicht ersoffen bin, habe ich auch gleich mit dem Strampeln angefangen und wie das so ist, lernt man das Schwimmen am besten, wenn man einfach ins kalte Wasser geworfen wird. So wird das wahrscheinlich eine ganze Weile gelaufen sein. Eines Tages kam dann irgendwer und steckte mir ein Seepferdchen an. Vielleicht war ich in dem Moment etwas verwirrt, denn ich musste ja von beginn an schwimmen und von außen sah es bestimmt nicht immer gut aus, was man da so angestellt hat. Aber wenn man dann mit dem golden leuchtenden Seepferdchen nach hause und zu seinen Eltern kommt, ist das schon etwas Besonderes. Wahrscheinlich ist es das nur, weil einem die Eltern auf den Rücken klopfen, einen in den Arm nehmen und zufrieden lächeln – geschwommen ist man ja schon vorher.
Ich glaube nicht, dass ich daraufhin selber in einen Schwimmverein eintreten wollte. Auf jeden fall meldeten mich meine Eltern kurze Zeit später an. Es ging ihnen nie darum mich zu einem Profischwimmer zu machen, der nach Medaillen jagt und jede Bahn zu einem Wettkampf ausruft. Sie waren viel mehr auch einmal begeisterte Schwimmer und hielten es mit Sicherheit für das Beste für mich. Ich hatte ja Spaß an der ganzen Sache und konnte so gleich die richtigen – oder sagen wir besser üblichen – Techniken lernen. Über die Zeit kamen dann weitere Schwimmabzeichen hinzu. Jedoch ging mir kurz darauf die Lust am Schwimmunterricht verloren und schon der „Seehund Trixie“ bedeutete mir nichts mehr. Vielleicht lag es am Trainer mit dem immer etwas zu grimmigen Blick oder daran nicht mehr im Wasser rumtollen zu dürfen wie man wollte. Stattdessen hieß es jetzt: „Zwei Bahnen Brust, dann eine im Sprint kraulen und zum Ausschwimmen Rückenlage“, bevor ein schriller Pfiff als Startkommando ertönte. Solange die Anweisungen nicht abgeschlossen waren, sollten wir sogar regungslos verharren. Ein furchtbares Gefühl für ein Kind im Wasser, dass doch eigentlich nur Schwimmen will. Immer häufiger fand ich mich, anders als früher, zwischen den Übungseinheiten am Beckenrand oder die Übungen selbst nur noch mit halber Kraft absolvieren.
Manchmal ließ ich dann den Unterricht sausen um heimlich zum Fluss nicht weit von der Schwimmhalle zu laufen. Meine Eltern und auch der Trainer hatten mir verboten hier in das Wasser zu gehen. Die Strömung wäre zu stark und man würde sehr leicht abgetrieben werden. Keiner wisse genau wo hin und viele der Gabelungen führten angeblich in unwirtliches Terrain, voller Stromschnellen, die ein auf den Grund des Wassers schleudern oder spitzer Felsen, die einem das Fleisch vom Leib reißen. Ich behielt diese Mahnungen stets im Kopf und traute mich nie bis in die tiefen Stellen. Vom Rand aus sah ich dem reißenden Fluss zu. Meine Sehnsucht nach dem ungeschützten Gewässer wuchs. So fing ich eines Tages, ohne darüber nachzudenken, an ein Floß zu bauen auf dem ich mich sicherer fühlte. Nach und nach wagte ich mich ein wenig weiter vor. Manchmal schlug das Floß leck, sodass ich es ausbessern und verstärken musste. Bei mutigeren Versuchen kam es vor, dass es komplett kenterte und vor meinen Augen davon trieb, bis es am Horizont zerschellte. Zurück ans Ufer schaffte ich es aber jedes einzelne mal.
Nach einigen Jahren beherrschte ich es ruhig auf dem Wasser zu fahren. Das als Notbehelf errichtete Floß bestand zu Beginn noch aus einem paar mit altem Strick lose aneinandergebunden Holzplanken. Mittlerweile sitze ich in einem stattlichen Kahn. Die angebauten Seitenwände, lassen nur selten Wasser in das Boot schwappen und meine Füße bleiben somit meistens trocken. Die Reling ist stabil genug um auch bei aufbrausendem Wasser sicher zu stehen. Dafür dass man auf diesem reißenden Strom treibt, ist es also recht bequem in meinem Boot. Auf der einen Seite der Kajüte liegt ein Schlafsack auf den Planken und in der Ecke gegenüber steht ein gut gepolsterter Stuhl vor einem Schreibtisch. Auf ihm befinden sich lediglich eine Kerze und das ausgebreitete Glasperlenspiel, dass ich besten falls in Ansätzen beherrsche. Das ist genug für mich, nur auf das Wasser will ich weiterhin nicht verzichten. Ich kann mit überhaupt nicht vorstellen, dass das für eine Wassergeburt anstrebenswert oder überhaupt möglich ist. Deswegen habe ich an dem in der Mitte trohnenden Masten einen kleinen Ausguck errichtet, der es mir erlaubt auch bei Sturm hinaufzusteigen. Aus dem Krähennest lässt sich ein ordentliches Gefühl für die Wasserlage auf dem vor mir liegenden Weg gewinnen. So bin ich zuletzt sehr oft in ruhiges Fahrwasser gekommen. Hier setzt sich das Sediment am Grund und schüttet einen angenehm weichen und komfortablen Boden auf. Seit dem das umliegende Wasser aber zunehmend zum Planschen und Dösen einlädt, spar ich mir auch immer öfter das Schwimmen. Wozu auch?
So kommt es dann vor, dass ich mich beim Ersehnen einer Sandbank ertappe. Eine kleine Untiefe im Wirr der Wassermassen, das sonst in alles eine tiefe Schneise gräbt. Dort sollte dann das Floß aufsetzen und ich das Schwimmen ganz verlernen. Die nutzlos gewordenen Muskeln würden verkümmern und ich weiter zufrieden über das gut ausgebaute Boot auf mein Ende warten. Doch dann kommt mir in den Sinn, dass das mich umgebend Wasser den vollständigen Lauf, seit der Quelle gegraben hat. Auch ein stabiles Floß hat keinen großen Tiefgang und so würde es nicht lange dauern, dass ich mich für ein Schläfchen auf meine erträumte Sandbank begebe und währenddessen der ganze Kahn klammheimlich mitgezogen wird. Mein erschlaffter Körper und der lethargisch gewordene Geist könnten nicht mehr reagieren. Ich wäre zum Zuschauen verdammt.
Aber bin ich das nicht jetzt schon? Ich wollte doch eigentlich immer nur im Meer schwimmen und in die großen Wellen eintauchen. Deshalb ging ich damals heimlich an den Fluss und baute das erste Floß. Stattdessen sitze ich jetzt hier und schaue den Wellen beim Tanzen zu. Sie peitschen in ihrer unermesslichen Kraft gegen die Bordwände. Ich beobachte still den Strom, der nie aufgehört hat mich zu rufen. Und das alles nur, weil ich einst nicht mehr schwimmen durfte wie ich wollte. Oder hatte ich mir etwa am Ende selber den Spaß am Schwimmen genommen? Wie soll der Trainer mit dem etwas zu grimmigen Blick, der nur regungslos am Rand sitzt und mich beobachtet denn bitte in mein Wasser pissen? Ich habe aus Eifer das Boot windfest zu machen meinen Plan schwimmen zu üben vergessen. Ganz ehrlich, es ist Zeit zu schwimmen und wenn es erstmal nur in einem Planschbecken ist. Die Umgebung darf es mir gerne einfach machen, Hauptsache ich kann wieder tauchen. Lediglich zwei Bedingungen sollte der Ort erfüllen. Erstens: Das Wasser muss zu tief zum Stehen sein, sodass ich schwimmen muss. Zweitens: Lass mich schwimmen wie ich möchte, schließlich bin ich Erwachsen. Dann halte ich mich auch gerne an die Regeln der Badeanstalt.


Ich höre ein stumpfes Poltern durch das Wasser hallen. Im gleichen Moment dringt ein helles Licht durch meine geschlossenen Augen. Ich tauche auf und weite Pupillen blicken dem Strahlen entgegen. Reflexartig streiche ich mir mit den vom warmen Wasser in Falten geworfenen Fingerspitzen die Feuchtigkeit aus den Lidern um etwas klarer zu sehen. Meine Augen bleiben für einen kurzen Moment an den kleinen abheilenden oder gerade erst frisch erworbenen Wunden und den immer noch etwas von Dreck untersetzten Fingernägeln hängen. Das Schaben der sich langsam weiter öffnende Abdeckung des Ofuro, vermischt sich mit einem warmen: „Otsukare-sama desu!“. Es ist ein Echo das ständig durch die Tage im Plateau von Antaiji hallt. Auch ich antworte voller Selbstverständlichkeit im selben Tonfall mit den gleichen Worten. Die eine gemeinsame Stimme der versammelten Sangha.

Das Flussbett beginnt sich nach und nach zu weiten und immer mehr Ströme scheinen sich in einem großen Delta zu vereinigen. Wenn man für einen Augenblick in das mitgetriebene Boot und auf den mit Spinnenweben besetzten Mast in das Krähennest steigt, kann man inmitten der Wassermassen von hier aus das Meer am Horizont erahnen. Lässt man aber die Augen ruhen und atmet in ruhigen Zügen, riecht man das Salz in der Luft und hört die Möwen aus allen Richtungen kreischen. Ich schwimme los um mich in die Wellen zu stürzen. Und wenn ich ersaufe? Ersaufe ich. Treiben mich die Wellen an den Strand oder zwingen mich zurück ins Boot, steht mir die Übungshalle offen. Vielen Dank, für die Halle, die Trainingszeit und die Möglichkeit zurück zu kehren.

„Ist es nicht seltsam, dass die Menschen immer mir ihrer Kraft sparen wollen? Jemandem wie mir, der über keine besonderen Talente verfügt und auch nicht besonders intelligent ist, dazu noch weder Geld noch Eltern hat, dem bleibt nichts, als alles von sich selbst zu geben. Insofern habe ich mit diesem Leben Glück gehabt. Denn welches Glück könnte größer sein als das, sich in Umständen zu befinden, die einen zwingen, alles von sich zu geben?“
Kodo Sawaki – Zen ist die größte Lüge aller Zeiten