1-11 Merkwürdige Broterwerbe

Ich: Wenn ich groß bin, werde ich einen Beruf wählen müssen. Bei vielen Tätigkeiten frage ich mich allerdings, was für einen Sinn die haben. Ich verstehe es, wenn einer die Landwirtschaft oder eine Heiltätigkeit zu seinem Beruf macht. Auch dass manche Menschen mit dem Malen von Kunstwerken, Romaneschreiben oder Musikspielen ihren Lebensunterhalt verdienen, leuchtet mir ein. Aber wie kommt es, dass es professionelle Schachspieler gibt, oder Leute, deren Beruf es ist, die Kunstwerke oder Musik anderer zu kritisieren? Ich glaube, dass die Gesellschaft auch ohne solche Berufe auskommen würde.
Penetre: Du meinst, dass Bauern und Ärzte notwendig sind, Schachspieler und Kritiker hingegen nicht? Da irrst du dich! Der Mensch lebt zum Vergnügen, und was einen vergnügt, ist von Mensch zu Mensch verschieden. Für manche gibt es kein größeres Vergnügen als Schach zu spielen, anderen macht es am meisten Spaß, Musik zu hören. Solche Menschen erreichen in der Regel ein höheres Niveau beim Schach oder werden zu Kennern der Musik. Es ist also kein Wunder, wenn es Profis gibt, deren besondere Fähigkeiten nur solche Experten zu schätzen wissen. Vom Standpunkt des Rests der Welt aus betrachtet mag das merkwürdig erscheinen, aber innerhalb des Kreises der Kenner sind die Profis unverzichtbar. Ein Produkt wird nur deshalb hergestellt, weil es jemanden gibt, der es kauft. Schachspieler und Musikkritiker machen ihre Expertise zum Broterwerb. Das geht nur deshalb, weil Kenner bereit sind, dafür gutes Geld zu bezahlen. Nur wenn keiner mehr dafür zahlt, stirbt der Beruf aus.

1-12 Professionelle Genießer

Ich: Ich habe gehört, dass es Restaurants mit Sternen gibt. schmeckt. Je mehr Sterne ein Restaurant hat, desto besser soll das Essen dort schmecken. Aber das ist doch komisch – wie kann man denn objektiv beurteilen, was Geschmacksache ist? Oder wird darüber abgestimmt?
Penetre: Nein, darüber wird nicht vom gemeinen Volk abgestimmt, sondern es gibt sogenannte Connoisseuer, die darüber entscheiden. Das sind Autoritäten auf dem Gebiet des Genusses.
Ich: Du meinst professionelle Genießer? Warum gibt es die denn? Und was gibt denen das Recht, sich Autoritäten zu nennen? Man muss doch kein Profi sein, um zu wissen, welches Essen einem am besten schmeckt! Wenn diese „Autoritäten“ den Geschmack nach anderen Kriterien beurteilen als wir gewöhnliche Sterblichen, welche Bedeutung haben die Sterne dann für uns?
Penetre: Beim Essen ist es genauso wie bei der Literatur und Musik: Wer daran ein besonderes Vergnügen hat, der genießt es auf einem höheren Niveau als der Rest. Es gibt eine Qualität des Geschmacks, die nur der versteht, der viele köstliche Speisen genossen hat, so wie es auch eine Qualität einer musikalischen Darbietung gibt, die nur Kenner zu genießen vermögen. Um zum Experten auf einem Gebiet zu werden, ist es notwendig, seinen Geschmack immer mehr zu verfeinern. Nur wer einen ausgezeichneten Geschmack besitzt, vermag es, eine Sache in ihrer vollen Tiefe zu genießen.
Ich: Deshalb gibt es Autoritäten?
Penetre: Genau. Autoritäten lehren uns, an etwas mehr Vergnügen zu finden!